Kein trockener Rückblick, sondern zukunftsweisend und hochaktuell:

Die Geschichte der Altstadtfreunde Warendorf

 

Jeder Verein entsteht aus einem Bedürfnis. Bei den Alstadtfreunden war es nicht anders.

 

Was die vielen Mitglieder seit über 40 Jahre motiviert, sich in diesem Verein ehrenamtlich zu engagieren und warum die Warendorfer Altstadt auch heute noch viele Freunde und Freundinnen braucht, erfährst du in unserem Artikel.

 

 

 

Eine Stadt ohne Vision

 

Warendorf hatte Glück. Enormes Glück. Es wurde im zweiten Weltkrieg kaum beschädigt und der Charakter der Stadt blieb erhalten. Aber der Erhalt und die Pflege der alten Altstadthäuser stellten die Besitzer*innen und die Stadt vor große Herausforderungen. Viele Häuser waren Mitte der 50er Jahre in einem schlechten Zustand und teilweise kaum noch bewohnbar.

 

Da der historisch-kulturelle Wert der alten Gebäude in dieser Zeit noch kaum gesehen wurde, beschloss man, wie vielerorts, marode Häuser abzureißen, um Platz für Neues zu schaffen.

 

 

 

 

Dies geschah in Warendorf an vielen Stellen. Ein trauriges Beispiel hierfür ist der Ostwall, wo zwischen 1950 und 1970 viele Gademe abgerissen wurden.

Aber auch die Münster- und Freckenhorster Straße veränderten ihr Gesicht völlig, da viele Häuser Platz für große Geschäfte oder für die Filiale der Kreissparkasse machen mussten.

 

 

Die Stadt sollte vor allem den Bedürfnissen des Handels gerecht werden und für den Straßenverkehr optimiert werden. Eine autofreundliche Stadt galt in den 60er Jahren als modern und zukunftsweisend. Und auch in Warendorf wollte man nicht als rückständig gelten.

 

 

Diese massiven Eingriffe in das Stadtbild erfolgten jedoch ohne ein Gesamtkonzept. Es gab keine Vision für die Stadtentwicklung und vor allem kein Bewusstsein für das historisch gewachsene Stadtgefüge.

 

 

Erst durch die Forschungen Josef Schepers und seines Schülers, Stefan Baumeier, die beide die Einzigartigkeit des Gebäudeensembles der Warendorfer Altstadt herausstellten und ihre bauhistorische Bedeutsamkeit auf einer Stufe mit Soest, Lemgo, Minden oder Warburg ansiedelten, begann ab Mitte der Sechziger Jahre ein umdenken.

 

 

 

 

 

 

 

Bürgerlicher Widerstand

 

 

Aufgrund der Besorgnis erregenden Anzahl an Abrissen in der Warendorfer Altstadt und der weitverbreiteten Missbilligung durch die Bürgerschaft, kam es 1970 zu einer Wiederbelebung des Heimatvereins, der sich vor allem für ein Gesamtkonzept in der Stadtentwicklung einsetzte und dessen Hauptaugenmerk es war, eine moderne Umgestaltung der Altstadt unter Bewahrung des historischen Stadtbildes einzufordern. Die Mitgliederzahl stieg in kurzer Zeit rasant an und damit auch der Einfluss des Vereins in der Stadt.

 

Nichts desto trotz ging der Abriss historischer Gebäude in Warendorf weiter:

1972 wurden die Gebäude des Landgestüts am Münsterwall und 1973 die Villa Sophia abgerissen.

Vor allem die Villa des Ehepaars Wiemann an der Sassenberger Straße (Heute Sophienpark) wurde als sehr schmerzhaft empfunden, da hier ohne Rücksicht auf Verluste Einzelinteressen bedient worden waren.

 

 

1978 kam es zu einer weiteren Zuspitzung als die Verkehrsprobleme in der Warendorfer Innenstadt durch eine neue Entlastungsstraße gelöst werden sollten. Hierfür hatte die Stadt mehrere alte Häuser gekauft, um sie zugunsten der Straße abzubrechen.

Vor allem der Bereich Kolkstiege und Hohe Straße waren hiervon betroffen.

Dem massiven Widerstand der Bevölkerung ist es zu verdanken, dass es nicht so weit kam, aber es wurde klar, dass ein Umdenken erfolgen musste.

 

 

Die Gründung der Altstadtfreunde

 

 

Wilhelm Veltmann, der seit 1978 Vorstandsmitglied des Heimatvereins war, hatte eine bahnbrechende Idee: Aus dem Heimatverein sollte sich ein Kreis von Altstadtfreunden bilden, der anhand konkreter Projekte zeigen sollte, wie die Sanierung von alten Gebäuden in der Altstadt gelingen könnte. Statt das Ideal einer autogerechten Stadt zu verfolgen, forderte man, dass der historische Grundriss der Stadt bei der weiteren Stadtentwicklung intakt blieb.

 

 

 

 

 

 

1980 gründeten sich daher, unter dem Vorsitz von Wilhelm Veltmann, die Altstadtfreunde, die konkrete Maßnahmen zur Denkmalpflege ergriffen und aktiv Hand an viele verfallene Altstadthäuser anlegten.

 

 

Der ersten spektakulären Sanierung des Hauses Kolkstiege 1 folgten bald weitere. Man ging auf viele Eigentümer zu und versuchte sie von einer Sanierung zu überzeugen, indem man ihnen Hilfe bei der Umsetzung, dem Schriftverkehr mit den Behörden, der Beantragung von Fördermitteln, etc. anbot.

 

 

Die sogenannten „Pickaktionen“, bei denen die Altstadtfreunde das verputzte Fachwerk frei legten, wurden legendär. Die Auswahl der Häuser folgte jedoch auch der Überlegung, ganze Straßenräume zu sanieren. Statt auf Einzelgebäude konzentrierte man sich zunehmend auf ganze Gebäudeensembles.

 

 

So wurden im Bereich Kolkstiege/Hohe Straße/Münsterwall gleich mehrere Häuser saniert, wodurch eine Aufwertung der gesamten Umgebung erzielt werden konnte. Später folgten dann die Brünebrede und das Gebiet um die Schulstraße, Lilienstraße und Kurze Kesselstraße.

 

 

Von Anfang an war es das Bestreben der Altstadtfreunde, mit den zuständigen Behörden zusammen zu arbeiten und die Ziele der Denkmalpflege, die im Denkmalschutzgesetz NRW von 1980 festgelegt worden waren, zu stärken.

 

 

Pickationen und sonst?

 

 

 

 

Um die Identifikation der Warendorfer mit ihrer historischen Altstadt zu stärken und vor allem das Wissen um die kulturelle Bedeutung ihrer Gebäude zu vergrößern, veranstalteten die Altstadtfreunde jährliche Altstadtfeste, organisierten Studienreisen und Fachvorträge.

 

 

 

 

Auch die Aufwertung des städtischen Raums erschien den Altstadtfreunden ein wichtiges Anliegen. Denn: Wer sich in seiner Stadt wohlfühlt und sich mit ihr identifiziert, wird sie auch langfristig schützen. Wer durch Besucher gespiegelt bekommt, wie besonders und attraktiv das eigene Wohnumfeld ist, sieht es vielleicht auch selbst bald mit anderen Augen.

 

 

 

 

Zusätzlich zu den Sanierungen vieler Privathäuser kamen daher viele weitere Gestaltungselemente in der Altstadt hinzu, die noch heute das Stadtbild prägen.

 

 

 

 

Mit Hilfe von Sponsoren und Unterstützern konnten in der Stadt Wasserpumpen aufgestellt (Schweinemarkt, Wallgasse, Lange Kesselstraße), der Marienbrunnen, der Gute-Montag-Brunnen und der Marktbrunnen realisiert, das Stadtmodell am historischen Rathaus gebaut und Ausleger an Geschäften sowie historische Laternen in der Stadt angebracht werden.

 

 

 

 

Zwischen 1980 und 1990 wurde vieles erreicht. Das Stadtbild hatte sich merklich verbessert: Viele Häuser waren saniert worden, die Asphaltierung war einem Pflaster gewichen, Verkehrsberuhigung und Fußgängerzonen ermöglichten ein völlig Neues Altstadt-Erleben und auch das öffentliche Bewusstsein hatte sich gewandelt. In Bürgerschaft, Verwaltung und Politik wurde man sich zunehmend dessen bewusst, dass die Warendorfer Altstadt etwas Besonderes war, etwas worauf man stolz sein konnte und das über Warendorfs Grenzen hinaus Beachtung fand.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alles erreicht? Was nun?

 

Der Verein, der sich in den Anfangsjahren vor allem um die Stadtentwicklung bemüht hatte, konnte sich nun stärker auf den Denkmalschutz konzentrieren.

Die bauhistorische Forschung, stand nun im Mittelpunkt der Vereinsarbeit. Durch neu zusammengetragenes bzw. zu Tage gefördertes Wissen über die Häuser der Stadt, sollten die Bürger Warendorfs, wie auch die Besucher, mehr über die Identität, die Entwicklung und die Prägung der Stadt erfahren. Vor allem durch die Expertise Laurenz Sandmanns, seit 1994 Vorsitzender der Altstadtfreunde, und weiterer fachkundiger Mitglieder, konnte hier viel erreicht werden.So wurde in den folgenden Jahren z.B. eine Häuserkartei erstellt, das Bildarchiv zusammengetragen und zugänglich gemacht und an der dreibändigen Stadtgeschichte mitgearbeitet, die im Jubiläumsjahr 2000 veröffentlicht wurde.

 

Auch ein weiteres renommiertes und vielfach ausgezeichnetes Projekt nahm in dieser Zeit seinen Anfang: Das Dezentrale Stadtmuseum.

 

 

Die Idee: Die Wohnsituation und die Arbeitsstätten Warendorfer Bürger an ihren ursprünglichen Orten sichtbar und erlebbar zu machen.

 

 

Zusammen mit dem Heimatverein, der Stadt Warendorf, der NRW-Stiftung und der Sparkasse Münsterland Ost konnten zwischen 1997 und 2014 sechs historische Häuser hergerichtet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. 

Als erstes Gebäude des Dezentralen Stadtmuseums wählte man das Gadem im Zuckertimpen.

 

 

Bald darauf folgten die Klosterstraße 7 mit dem historischen Tapetensaal und der Biedermeier Stube, das Haus Bispinck in der Münsterstraße, die Ausstellung im Historischen Rathaus, das Torschreiberhaus und als jüngster Zugang das Zigarrenmacherhaus in der Gerichtsfuhlke.

 

 

 

 

 

 

 

 

Neben dem Arbeitskreis „Dezentrales Stadtmuseum“ hat sich über die Jahre auch eine Vielzahl weiterer Gruppen herausgebildet.

 

 

 

Besonders der Arbeitskreis „Jüdisches Leben“, der die Geschichte der Juden in Warendorf erforscht und die Grundlage für die Verlegung der sogenannten „Stolpersteine“ vorbereitet, ist von besonderer gesellschaftlichen Relevanz. Bisher sind 38 solcher Erinnerungssteine in Warendorf verlegt worden.

 

 

 

Aber auch die Sichtung und Inventarisierung interessanter Nachlässe, die Sammlung und Dokumentation von Fotos für das Bildarchiv, die Instandhaltung und Erweiterung der Museumstechnik, die Organisation von Konzerten und anderen Veranstaltung und die Publikation der Schriftreihe „Stadt- und statt Museum“ sind wichtige Betätigungsfelder, die nur durch ein großes bürgerschaftliches Engagement aufrecht erhalten werden können.

 

 

 

Bis heute bemühen sich die Altstadtfreunde die Lebensqualität in der Warendorfer Altstadt zu erhalten und weiter zu verbessern. Neben der Beratung und Hilfestellung bei der Sanierung von Privathäusern und der Beantragung von Fördergeldern für große und kleine Projekte in der Altstadt, versucht der Verein durch die Organisation von Konzerten und anderen Veranstaltung auch das kulturelle Leben in Warendorf zu bereichern.

 

 

 

 

 

 

Aber auch der kritische Blick auf die Stadtentwicklung scheint angesichts vermehrter Abrisse historischer Häuser aktueller denn je.

 

 

 

Denn die Zielsetzung des Vereins ist es, eine funktionierende, lebendige (Alt-)Stadtgesellschaft zu erhalten, die sich mit ihrer historisch gewachsenen Altstadt identifiziert, ihren (touristisch, kulturellen und ideellen) Wert erkennt und folglich schützt.

 

 

 

 

 

 

Die Altstadt soll eben kein Museum sein, sondern ein Lebensraum der besonderen Art!

 

(Bei Interesse gibt es hier weiterführende Informationen:

Fred Kasper: Altstadtfreunde: Alstadt bleibt - Ziele, Wege und Aktivitäten wandeln sich. In: Stadt- und statt Museum, Bd. 3, 2021, S.19 -69.)